Wind, Kreuz, Heeger Meer
Vielleicht ist heute- seglerisch gesehen – der Höhepunkt des Törns gekommen. Erstens haben wir wirklich mal Wind, Bft 4 mit Böen 5. Und zweitens liegt das große HeegerMeer vor uns, das wir drittens aufkreuzen müssen, um zu unseren Zielhäfen Gaastmeer (Mittag) und Oudega (Abend) zu gelangen.
Die erste richtige Kreuz (mit ausreichend Wind) für die „Dralle Deern“ und in ähnlicher Weise auch für die Besatzung der „Robbe“. Bei den langen Schlägen quer übers Heeger Meer fällt es auch kaum ins Gewicht, dass beim Plattbodenschiff bei jeder Wende das neue Leeschwert abgesenkt und das Luvschwert aufgeholt werden müssen. Was aber besonders erfreulich ist: Die „Dralle Deern“ segelt gut in der Kreuz! Mit gutem Winkel zum Wind und mit gutem Speed. Sie braucht diesen Wind, um in Gang zu kommen. Und das Allerschönste: sie macht dabei fast keine Schräglage. Stabilität einer Pontonform eben. Theoretisch alles klar, aber wenn man’s dann praktisch erlebt ist es doch erstaunlich. Es ging dabei so zügig voran, dass wir schon nach ein paar Schläge die Zufahrt zu Gaastmeer ansteuern mussten.
Heute ist richtig Betrieb. Es ist auch Wochenende. Endlich mal viele traditionelle Plattbodenschiff zu sehen. Überall, wohin man das edle Haupt wendet. Auch ein Grundel im kleineren Format von 6,5m Länge ist dabei:
In Gaastmeer haben wir noch einen Platz an der Kade gefunden und sind erst einmal in das örtliche Lokal gegangen, auch am Hafenkanal gelegen und haben lecker gespeist und getrunken. Tolles Ambiente hier, nicht überlaufen wie Grouw, Heeg und Sneek, und doch „voll friesisch“. Wir liegen direkt vor dem einstigen alten Pastorat, wo sicher früher der Pastor seinen Plattboden liegen hatte.
So, nun noch etwas entspannen, und dann legen wir ab mit Fahrtrichtung Oudega. Von da kommt heute Abend noch eine zweite Lieferung… bis dann erst mal….
Oudega
Ehrlich gesagt, ich war bei meinen etlichen Friesland-Törns bisher weder in Gaastmeer noch in Oudega. Aber beide Orte sind von nun an mit meine heißen Tipps für Friesland-Segler. Das liegt an zwei Dingen: Erstens sind sie keine Wassertouristen-Hotspots und liegen etwas abseits der Friesland-Zentren wie Grouw, Sneek oder Heeg. Und zweitens haben sie eine Anlegekade mitten im Ort. Man tummelt sich dort zwischen Jollenseglern, Plattbodenschiffen, Tucktuck-Booten (gibt es ungeheuer viele hier neuerdings) und kleinen Schlauchbooten. Immer ist Bewegung an der Kade und mit etwas Glück bekommt man einen Liegeplatz direkt vor dem Café. So konnten wir heute zwei Schlauchbootleute überzeugen, doch ein paar Meter die dort kleinere Lücke zum Festmachen zu wählen. Dann würden wir schon in diese freiwerdenden Lücke passen. Und die „Robbe“ bei uns dann längsseits.
An den Kaden der kleinen Orte tobt wirklich das Leben. Man kann den ganzen Tag in der Plicht sitzen und sich das Schauspiel des Lebens dort anschauen. Während ich dies am Ende der Kade von Oudega zu Bites and Bits bringe, springen direkt neben uns drei Kinder mit Juchzen von der kleinen Brücke. Da passen nur Kanus und Ähnliches durch, sie ist nicht hoch, aber der Hafenkanal fließt dort in abgespeckter Form weiter in die Weiden hinter Oudega. Wir liegen vor der Brücke und hinter der Brücke liegt ein großes Plattbodenschiff. Da gehörten die drei Youngster hin. Und da sind noch vier weitere Geschwister von ihnen plus Eltern plus ein schwarzer Hund. Alle total entspannt, fast paradiesisch. Mit wenig viel erleben. Was könnte eine Familie mit sieben Kinder und einem schwarzen Hund auch Besseres in den Ferien tun, als zusammen mit einem alten, großen Plattboden durch Friesland zu ziehen und genau diese Orte wie wir heute anzusteuern? Sie haben noch eine schnelle Jolle längseits; damit segeln dann wohl die älteren Geschwister, während die jüngsten drei juchzend von der Brücke hopsen. Immerhin: Sie hatten mich in fast fließendem Englisch vorher gefragt, ob ich was gegen das Brückenspringen hätte. Natürlich nicht. Ich wage mir kaum vorzustellen, wie das in einem deutschen Yachthafen möglicherweise ausgegangen wäre zwischen Bedenkenträgern und Verbotsschildern. Die Niederländer sind entspannt – freundlich und vor allem diesem Wassersport gegenüber ungeheuer offen und positiv eingestellt. Sollte ich mal auswandern müssen – ich wüsste, wohin…
Den westlichsten Punkt erreicht
Heute ist Bergfest. Jedenfalls, was die Westlichkeit des Törns betrifft. Ab morgen geht es wieder gen Osten, Richtung Heimat. Langsam, aber bestimmt, denn wir haben zwischendrin noch einiges vor und wir müssen immer ein bis zwei Sturmtag vor uns herschieben, damit am Ende alles passt. Auch, wenn man was dazwischen kommt. Wir sind dieses Jahr ja in großem Maße brückengeschädigt! Schlossbrücke Ritterhude, Eisenbahnbrücke Elsfleth und eine gerammte Brücke über das Reitdiep nördlich von Groningen. Das reicht. Und wer weiß, was noch kommt?! Deshalb lieber mit Reserven planen, die am Ende noch in den einen oder anderen entspannten Zwischenhafen „vergeudet“ werden könnten.
Gestern haben wir die Rücktour grob geplant. Eine von vier Varianten ausgewählt. Welche, das verrate ich jetzt noch nicht. Aber Mast runter, Mast rauf kommt da auch drin vor. Ein paar Mal. Aber wir sind ja flott geworden in Mastensachen. Auch ein Gewinn dieser Tour bisher.
Jetzt noch ein seglerisches Halbzeit-Fazit in Sachen Segeleigenschaften der Drallen Deern:
Kurzfassung: Ich bin sehr angetan, ja fast begeistert. Warum? Nun, das hat im Wesentlichen zwei Gründe:
- Sie segelt nicht nur bei halbem und achterlichem Wind gut, sondern auch am Wind und in der Kreuz. Aber es braucht schon etwas mehr als eine ganz leichte Brise, damit die fünf Tonnen der Madame wirklich in Fahrt kommen. Aber dann kann man wunderbar aufkreuzen. Nur muss man längere Schläge segeln können, weil Schwert runter, Schwert rauf nicht so schnell geht und auf Dauer an den Kräften zehrt.
- Sie segelt wunderbar aufrecht. Auch bei 4-5 an der Kreuz und ohne Reff. Ehrlich gesagt, ich hatte etwas Muffe, als ich heute früh das Groß hochzog – ohne Reff. Aber die anderen Plattboden hatten auch nicht gerefft. Dann ich eben auch nicht. Und es war die richtige Entscheidung. Zügig und kraftvoll zog die Dralle Deern ab. Jette lag entspannt in der Plicht, und auch Dorit begann nach und nach, zu entspannen und der Deern zu vertrauen.
Ansonsten ist bei einem Plattboden in allen Bereichen etwas mehr Körperkraft nötig als bei modernen Schiffen. Es gibt auch keine Winschen oder Klemmen, nur eiserne Klampen zum Belegen von Fock und Schwert. Und richtig schwere und dicke, allerdings kugelgelagerte Blöcke. In der Großschot sind sie so groß, dass man bei einer Halse damit schon mal jemanden bei gutem Treffer vom Diesseits in Jenseits befördern könnte – oder sich selbst. Kopf tief halten! – das ist die lebensnotwendige Devise. Aber man gewöhnt sich an ihr, wie am Dativ. Und nachdem ich auf Dorits Tipp hin alle Fallen farbig markiert habe, muss ich nicht jedesmal alle einzeln durchprobieren, bis ich das richtige gefunden habe, um es zu bedienen. Das hilft eine Menge.
Der alte Kahn läuft bei halbem Wind oder achterlicher so flott, dass man keine anderen modernen Boote scheuen muss. Man kann mithalten, erstaunlicherweise.
So, und ehe ich nun vor Begeisterung abhebe, baue ich lieber noch ein paar schöne Fotos von heute ein und stopfe mir dann noch eine Pfeife. Unsere letzte Übernachtung in freier Natur hat übrigens durchaus auch Folgen gehabt: Wir hatten den Stechmückenspot Nr. 1 gewählt und waren die ganze Nacht mehr oder weniger wach von dem ewigen Zirren der Stechmücken rund um unsere Kojen herum. Weiß der Geier, wie die da alle reingekommen sind. Ronald hat morgens sein Deck voller toter Mücken gehabt und erst mal eine Reinigungsphase eingelegt. Das wird jetzt anders sein und wir können Schlaf nachholen…
Zum Schluss noch eine kleine Bildergalerie von heute: