Oder: die Verarmung der deutschen Umgangssprache
Wenn einer wie ich, der ein Plattbodenschiff segelt und früher auf Jollen und Jollenkreuzern unterwegs war, nun für mehr Tiefgang plädiert, dann kann es sich natürlich nicht um mehr Tiefgang für unsere Boote handeln! Wer einmal Watt-Wunder erlebt hat, den wird es immer wieder dorthin ziehen, wohin man nur mit möglichst wenig Tiefgang gelangt.
Ich beobachte seit Jahren hingegen, dass die Sprache im (ehemaligen) Land der Denker und Dichter auf dem durchaus natürlich flacheren Niveau der Alltagssprache (wie sollte es auch anders sein, wenn nicht alle Philosophen und Germanisten sind) in allzu flache Gefilde hinabsinkt.
Alles begann mit den Anglizismen. Also „Denglisch“, wie man auch sagt. Wobei ich zugebe, dass manche englischen Wörter deutlich kürzer und prägnanter sind als die entsprechenden deutschen. Das verlockt natürlich zum Gebrauch derselben. Aber das sind allerdings nur wenige Begriffe. Dass es nun immer mehr „Denglisch“ im Sprachgebrauch, auch von „Tagesschau“ und „Heute“, gibt, liegt wohl eher daran, dass man das einfach für „chic“ oder „in“ = angesagt hält. Die Franzosen sind weit sprachbewusster als wir Deutschen und gehen schon lange gegen solches „Frenglisch“ vor. Das hat aber sicher auch etwas mit der Jahrhunderte alten Abneigung gegeneinander zu tun.
Nun kommt zur Verflachung unserer Sprachsitten auch noch die Nutzung der eigentlich kulturell sehr hochstehenden lateinischen Sprache hinzu. Na ja, eigentlich reden wir nur von zwei Wörtern, die aber inflationär und für alles und ständig gebraucht werden:
„Super“ und „Mega“.
Wobei „Mega“ die Steigerung von „Super“ ist. Gefühlt. Dabei heißt „super“ doch nur „über“ und „mega“ heißt „groß“. Man könnte sie sogar kombinieren, worauf noch keiner gekommen zu sein scheint, und von „super mega“ sprechen, also von „übergroß“.
Indem man sich aber aus Ausdruck seiner Freude oder Begeisterung auf nur ein lateinisches und ein altgriechisches Wörter beschränkt, büßt man zugleich einen extrem weiten Bereich sprachlicher Dynamik ein. Dynamik kommt ja von griechisch „dynamis“ = Kraft. Sprachkraft in diesem Fall. Besser: der ganze ausdrückbare Bereich von Emotionen mittels Sprache.
Wenn alles nur „super“ oder „mega“ ist, dann kann man nicht noch feiner differenzieren, außer man findet irgendwas auch noch „geil“. Spätestens da schaudert es mich kräftig, habe ich in meiner Jugend verschämt zu Boden geschaut, wenn dieses Wort ertönte, das sich allein und einzig auf den sexuellen Erregbarkeitsstatus bezog.
Aber selbst, wenn sich das inzwischen wohl geändert hat: was bleibt da an Sprachdynamik, wenn alles am Ende nur noch „geil“ ist?!
Nehmen wir beispielsweise mal die Musik. Ich spiele ja Posaune. Da wird eine Tonart vorgegeben in den Noten. Und eine Dynamik, die aus abgespielten Noten am Ende wirklich erst „Musik“ macht. Die Lautstärke der Musik betreffend schreiben die Komponisten wie folgt:
ppp pp p mp mf f ff fff
Also von „pianopianissimo“ bis „fortefortissimo„. Die Dynamik könnte man in Dezibel messen, wenn der Dirigent das Orchester zwingt, sich an diese dynamischen Vorgaben des Komponisten zu halten. Die dynamische Breite, in diesem Fall die Lautstärkevariation, ist gewaltig:
Bei ppp zweifelt man, ob das Orchester überhaupt spielt oder überlegt, doch mal den Hörgeräte-Akustiker aufzusuchen. Und bei fff fallen auch einem Schwerhörigen die Ohren ab.
Verglichen mit der Sprachdynamik von „super“ und „mega“ hätten wir vergleichsweise aber nur mf und f. Also fast laut und laut. Und in der Tat: die moderne Popmusik kann diese Spardynamik noch weiter eingrenzen, indem sie nur noch laut ist. Wir kennen das von der Ampel (nicht die aus der Politik). Wenn Rot ist und neben uns oder hinter uns einer steht mit einer 1000W-Auto-Hifi-Anlage, der so richtig die Bässe scheppern lässt – und das für Musik hält. Sein Hörgeräte-Akustiker wird es ihm später danken!
Also, ehe ich nun abhebe und gar nicht mehr aufhöre schreibend zu meckern, hier ein paar positive Sprachvorschläge, die sich an der Vielfalt der uns zur Verfügung stehenden deutschen Wörter orientieren: Statt „super“ und „mega“ könnte man doch – in breiter Dynamik – beispielsweise sagen:
„Wunderschön, beeindruckend, motivierend, packend, ausgezeichnet, hörenswert, wunderbar, herzzerreißend, bewegend, ausdrucksvoll, beneidenswert, erfüllend, erfrischend, unglaublich“ – und viele andere schöne deutsche Wörter mehr.
Und wenn Du diesen Beitrag irgendwie „erhellend“ findest, dann bitte, bitte, bitte schreib nicht in den Kommentar irgendwas von „super“ oder „mega„… Das finde ich gar nicht „geil„…