Steigerungen, die es nicht gibt.

Auch ich unterliege gelegentlich der Unsitte, zu übertreiben. Meine Frau merkt das sofort und mahnt mich dann strengstens. Zu Recht. Denn wenn alle immer und ständig übertreiben, dann kommt einem am Ende nichts mehr übertrieben vor. Wenn nur noch „Katastrophen“ geschehen und keine „Unwetter“, „Vulkanausbrüche“ oder kein „Dauerregen“ mehr, dann ist irgendwann alles „Katastrophe“ und die ehemals katastrophale Bedeutung dieses Geschehens, das wirklich alles überragt in seiner Schrecklichkeit, geht verloren. Es ist aber nicht jeder Dauerregen eine Katastrophe und es fällt mir auch schwer, den Landwirten zu glauben, dass sie jedes Jahr schlechte Ernten haben und alle drei Jahre eine Katastrophen-Ernte. Mal mehr, mal weniger. Klar. Aber das muss auch sprachlich im Rahmen bleiben, denn was wollen wir sagen, wenn wirklich mal eine Katastrophe eintritt? Dann haben wir gar kein Wort mehr dafür.

Bereits so geschehen beim GAU. Nein, ich meine nicht den Gau (eine Art Bundesland oder Region), dem in Deutschlands finstersten Zeiten der „Gauleiter“ als Chef der Partei vorstand.

Ich meine GAU als Abkürzung von „Größter anzunehmender Unfall“.

Das ist sehr vielen heute schon nicht mehr dramatisch genug und sie steigern es verbal zu „Super GAU„. Den kann es aber logischerweise gar nicht geben. Warum? Weil GAU ja schon vom „größten“ anzunehmenden Unfall spricht. Und größer als den Größten gibt es logischerweise nicht. Also sprachlicher Blödsinn, der „Super-GAU“.

Diese verbalen Übertreibungen ohne Sinn lassen sich fast beliebig fortsetzen. Wenn man beispielsweise im Rundfunk von den „aktuellsten“ Meldungen hört, dann wundere ich mich auch, was das für eine Steigerung sein soll. Aktueller als aktuell gibt es nicht.

Denn aktuell ist, was jetzt gilt. Wenn wir schon weiter sind, dann ist das eben noch Aktuelle eben nicht mehr aktuell. Und wenn einem die „aktuellste“ Meldung irgendwann auch nicht mehr aktuell genug ist, dass wird er sich nicht scheuen von einer „super aktuellsten“ Meldung zu sprechen. Vermute ich. Die nächste Steigerung wäre dann natürlich die „mega aktuellste“ Meldung. Und damit rutscht man dann noch weiter ins sprachliche Abseits hinunter.

Noch ein Beispiel gewünscht? Dann dieses:

Ein absolutes Modewort ist seit einiger Zeit das Wort „proaktiv„.

Was auch immer das bedeuten soll. Genau weiß das wohl keiner von denen, die es benutzen. Es hat aber eine „coole“ Anmutung. Irgendwie mehr vorn dran als einfach nur „aktiv“. Aber sprachlich totaler Quatsch. Entweder ich werde aktiv oder ich werde nicht aktiv. „Pro“ heißt aber „vorher“ oder „vor“. Aber was ist denn los, be“vor“ ich aktiv werde? Ich bin passiv. Ich denke noch nach, ob ich vielleicht aktiv werden sollte oder was auch immer. Jedenfalls bin ich noch nicht aktiv, außer möglicherweise im Geiste. „Proaktiv“ hieße ja zu handeln, ehe die Handlung beginnt. Kann ich mir nicht vorstellen, wie das sein soll.

Wie der so ein Fall, wo ein normales, klares und allgemein verständliches Wort scheinbar nicht mehr ausreichte, um irgendwie „modern“ oder „cool“ rüberzukommen. Und es ist erschreckend, wie das dann plötzlich unter Gleichgestromten um sich greift. Heute nennt man das ja „Wording“ (siehe anderer Beitrag unter „Denglisch“). „Wording“ ist, was „man“ so sagt oder zu sagen hat in einer bestimmte Denkrichtung, Gruppe, Partei. Und wenn man sich nicht daran hält, dann wird man keine Wahl in dem Verein gewinnen.

Ich bin dafür, dass wir eine gute Sprache (zurück) gewinnen! Aber ich will und muss ja auch nicht mehr in einer Gruppe glänzen oder gar gewählt werden. Wie schön…

Von Kommodore

Holger Gehrke | Pastor i.R. ("in Rufbereitschaft") | Segler von Kindheit an | Nach vielen Schiffen nun beim Traumschiff "Dralle Deern" gelandet | Ich liebe das Wattenmeer | Es ist mein Revier | Außerdem bin ich Ausbilder für Sportbootführerscheine und Seefunkzeugnisse und ehrenamtlicher Mitarbeiter der Seenotretter (DGzRS) in der Bremer Zentrale | Weitere Hobbys: Posaune, Fotografie, Angeln, Amateurfunk |

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